Angst – Symptome und Ursachen

Angst - Ursprung und Überwindung

 

Normale Angst

Wer hat nicht schon einmal Angst gehabt? Wer hat nicht schon einmal einen Alptraum gehabt? Einen Alptraum, in dem uns ein Bär verfolgt oder wo jemand eine Schlucht hinunterfällt? Kinder haben Angst vor bösen Geistern, vor Dunkelheit oder vor dem Alleinsein. Angst ist ein Zeichen von seelischer Gesundheit, wenn es um die Selbsterhaltung geht. Sie ist ein Warnsignal, das einen vor etwas Gefährlichem schützt.

Krankhafte Angst

Angst ist krankhaft, wenn sie aus unbewältigten Konflikten über eine längere Zeit ins Bewußtsein tritt und der Betreffende unter ihr leidet. Sie führt oft zu Vermeidensverhalten.

a) Seelenangst

Angst hat - wie andere Emotionen auch - eine körperliche und seelische Seite. Menschen, die vorwiegend ihre Angst als seelisches Gefühl wahrnehmen, berichten: "Ich habe Angst, daß mein Herz stehenbleibt. Wenn ich Angst habe, fühle ich Schmetterlinge im Bauch." Andere teilen mit: "Ich habe Angst, zu sterben. Ich habe Angst, einen Krebs im Kopf zu haben, weil sich der Kopfdeckel so abhebt. Ich habe Panik, wenn ich allein bin. Herr Doktor, ich muß immer jemand um mich haben. Wenn ich allein bin, spüre ich Angst und eine innere Unruhe, die ich mir nicht erklären kann."

Es gibt:

  • Angst vor offenen Plätzen, Kaufhäusern oder Menschenansammlungen
  • Angst vor Bus-, Auto-, Flugzeug- oder Zugfahren
  • Angst vor Gegenständen
  • Angst in engen Räumen
  • andere Ängste

b) Angst als Krankheit des Körpers

Einige Patienten empfinden nur die körperliche Seite der Angst. Dann stehen folgende körperliche Angstsymptome oder Angstäquivalente einzeln oder gepaart im Vordergrund der Beschwerden (2):

  • Allgemeine Reizbarkeit und Überempfindlichkeit
  • Leichte allgemeine Mattigkeit, besonders in Armen und Beinen
  • Schwindel: wie ein Taumel oder Benommenheit
  • Innere Unruhe
  • Müdigkeit, Ohnmacht
  • Schlafstörungen (Ein- und Durchschlafstörungen)
  • Kloßgefühl im Hals
  • Übelkeit
  • Heißhunger
  • Mundtrockenheit
  • Schweißausbrüche
  • Kältegefühl in den Gliedern
  • Zittern an Händen und Füßen
  • Muskelverspannungen (Die Angst im Nacken)
  • Kribbelgefühl, "als ob Ameisen darüber laufen"
  • Herzschmerzen, Herzklopfen, Stolpern, Rasen
  • Störungen der Atmung, Hyperventilationssyndrom
  • Magenbeschwerden
  • Durchfall
  • Harndrang
  • Unterleibsbeschwerden der Frau psychischen Ursprungs
  • Funktionelles Urogenitalsyndrom

Die Angst - ein Käfig

Für viele wird Angst zum Käfig. Sie engt einen ein. Ein Pharmaziestudent berichtet: "Ich lebe in einem Angstkäfig. Der Käfig, das ist mein Elternhaus. Meine Eltern haben mich hinter unsichtbaren Gittern gehalten. Sie haben es nicht böse gemeint, sondern wollten nur immer das Beste für mich. Ich habe nun Schwierigkeiten, mich von meinem Elternhaus, dem Käfig, zu befreien. Er fährt fort: "Ich habe so furchtbare Alpträume. Die habe ich schon seit meiner Kindheit: Ich lebe in einer großen Höhle. Alles um mich herum ist dunkel. In der Ferne sehe ich ein kleines Licht. Plötzlich fühle ich, daß ich an ein Kreuz festgebunden bin und sehe furchtbare Gestalten auf mich zukommen. Sie peitschen mich aus. Über mein Gesicht ist eine Kette gelegt. Ich fühle mich ohnmächtig und habe wahnsinnige Angst vor den Schlägen dieser gnadenlosen Gestalten. Ich fühle mich wie elektrisiert. Ich wache auf mit Herzklopfen und muß mich in der Dunkelheit erst einmal zurechtfinden, bis ich merke, daß ich in meinem Bett liege."

Was will der Traum dem Studenten sagen? Er befindet sich im Mutterleib, der Höhle. Der Ausgang ist weit entfernt, jedoch sichtbar und verspricht Licht und Leben. Damit er von dem Kreuz loskommt, dem Symbol für eine bindende und das Leben raubende Mütterlichkeit, muß er sich Entwicklungsqualen aussetzen. Die Gestalten beinhalten den Schmerz und die Energie, die zur Loslösung vom mütterlichen Kreuz erforderlich sind.

Angst, die Kindheit loszulassen

Es gibt zahlreiche Traumsymbole, welche die Angst vor Selbstverwirklichung und vor dem Erwachsenwerden zeigen: Besonders häufig sind die Träume, in denen ein Kind stirbt. In aller Regel bedeutet das Kindsymbol, daß das Kindliche in dem betreffenden Menschen sterben soll. 3061 Träume von 473 Patienten weisen die Kindsymbolik auf. Die Häufigkeit des sterbenden Kindes weist auf das grundlegende Problem der Angstpatienten hin: Sie haben Angst, sich aus dem Käfig ihrer Infantilität zu lösen, selbständig zu denken, zu handeln und zu fühlen.

Die typische Lebenssituation eines Angstneurotikers

Der Pharmaziestudent erzählt weiter: "Ich habe auch seit meiner Jugend öfter Herzschmerzen. Wenn ich allein bin, fängt mein Herz an zu rasen und ich habe Angst, daß es sich verstolpert. Dann fürchte ich, mein Herz könnte stehen bleiben und ich bin ganz allein und keiner findet mich, um mir zu helfen. Es ist furchtbar. Ich habe inzwischen Angst vor der Angst. Manchmal, da habe ich auch richtig Panikanfälle, so daß ich kopflos werde. Dann rufe ich irgendjemanden an. Anschließend geht es mir besser. Ich habe Angst umzukippen. Die ist ganz schlimm, wenn der Schwindel da ist. Ich habe auch Angst, ich könnte verrückt werden oder etwas Verrücktes tun. Schlimmer geworden ist es, seitdem ich mich zum Staatsexamen angemeldet habe. Eine Stunde später bekam ich ein furchtbares Kotzgefühl und einen Schüttelfrost. Das ist nicht wiedergekommen."

Mit der Liebe hat der Student Schwierigkeiten. Eine dauerhafte Bindung ist er bisher nicht eingegangen. Das Haftenbleiben in seiner Mutter, die in der Ehe unglücklich ist, und die Angst vor einem furchterregenden Vater sind ihm zum Verhängnis geworden. Der Vater hat durch seine Wutanfälle eine negative und furchterregende Rolle gespielt. Als positive Identifikationsfigur steht er dem Sohn auch dadurch nicht zur Verfügung, da er zuviel arbeitet.

Das Examen bedeutet einen Reifungsschritt, der dem Studenten innerlich verwehrt ist. Das Examen symbolisiert die Loslösung von der nährenden und unselbständig haltenden Mutter, es erfordert aber auch die Überwindung der Angst vor der väterlichen Autorität. Die Aktualisierung dieser seit Kindheit bestehenden Konflikte führt zu einer Lockerung der bisherigen Abwehrstrukturen, so daß die Angst jetzt ins Bewußtsein dringt und er sich ihr stellen kann.

Seine Angstzustände lernt er als Reifungssymptomatik einzuschätzen. Wenn sich die Angst wieder meldet, sagt er zu sich: "Mich ruft die Angst, aber ich werde ihr nicht folgen, sondern das Tal der Schmerzen und des Abschiednehmens durchschreiten. Ich werde mich selbst verwirklichen. Schuldgefühle, Angstsymptome und Schwindel können mir nichts anhaben. Ich werde meinen Weg gehen, indem ich Bewußtheit erreiche und meinen Lebensplan gestalte."

Bindung führt zu Angst

Es gibt eine Fülle von Möglichkeiten, ein Kind an sich zu binden (1,4):

Bindung auf der

  1. Über-Ich-Ebene
  2. Ich-Ebene
  3. Gefühlsebene

Beispiel: Bindung durch Schuldgefühle

Es ist erstaunlich, wie oft die realen Eltern noch die Verbindung zu ihrem Ein- und Alles, zu ihrem Lieblingskind aufrechterhalten: Eine 30jährige Frau mit Angstsymptomen und Partnerschaftsschwierigkeiten erzählt, daß ihre Mutter anruft und fragt, warum sie sich nicht mehr melde. Sie setze sie unter Druck: "Neulich hat sich ein Nachbar von uns vor den Zug geworfen, weil er mit seinen Kindern nicht klar kam." Auf die Frage der Tochter, was sie denn mit dieser Geschichte anzufangen habe, antwortet die Mutter: "Wenn du dich bei uns nicht mehr meldest, geht es uns schlecht." Daraufhin beschließt die Tochter, sich gar nicht mehr bei den Eltern zu melden. Sie erleidet daraufhin eine Entwicklungsdepression, die mit Tränen und Niedergeschlagenheit einhergeht. Es sind notwendige, zu erduldende Symptome, wenn man sich -unter Qualen- von den anklammernden Eltern lösen will.

Angst und Sucht

Viele Patienten mit einer Suchtproblematik erleben vor Beginn ihrer Sucht innere Unruhe, Spannungszustände, innere Unzufriedenheit und andere Angstsymptome. Um diesen unangenehmen Seelenzuständen auszuweichen, greifen sie zu Beruhigungsmitteln: Alkohol, Drogen, Zigaretten, Tabletten, Psychopharmaka. Andere Suchtgefahren sind: die Flucht in die Arbeit, die Eßsucht, die Sucht nach Abenteuer und gefährlicher Grenzerfahrung oder die Sucht nach Zuständen der Verliebtheit. Auch die Gier nach Hab und Gut, die Sucht nach Macht gehören zu den wenig tauglichen Mitteln, um Angst loszuwerden.

Befreiung von Schuldgefühlen und Angst

Wenn Angst zur Krankheit wird, ist es ratsam zu einem Psychotherapeuten zu gehen.

Vielen ist nicht bewußt, daß Schuldgefühle, Bindungen an die Eltern und die Angst vor dem Leben, vor selbstverantwortlichem Handeln und die Angst vor Reifung ihre Ängste verursachen. Erst im Prozeß der Therapie wird ihnen deutlich, auf welche Art und Weise die Eltern es geschafft haben, ihre Kinder an sich zu binden. Der Angstleidende befreit sich von der Ausbruchsschuld, von der Angst vor dem Leben. Er löst sich aus der Symbiose, er überwindet seine Zweifel an sich selbst (3). Er gewinnt Freude am Leben. Er lernt, sich abzugrenzen, Nähe zu gestalten und seine Sexualität in Treue und Liebe zu erfüllen. Ziel der Therapie ist es, selbständig zu sein, lieben und arbeiten zu können.

Literatur

  1. Flöttmann, H. B.: Angst - Ursprung und Überwindung, Kohlhammer-Verlag, Stuttgart (2005), 5. Aufl.
  2. Freud, S.: Hemmung, Symptom und Angst (1926), GW VI Studienausgabe, Fischer Verlag (1971)
  3. Kast, V.: Wege aus Angst und Symbiose, Walter-Verlag, Olten und Freiburg im Breisgau (1982), 2. Aufl.
  4. Stierlin, H.: Eltern und Kinder, Suhrkamp-Verlag, Frankfurt (1975)

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