Bindung durch Verwöhnung

 

Verwöhnen bedeutet, ein Kind nicht streng genug zu erziehen, zu nachgiebig zu behandeln oder dem Kind jeden Wunsch zu erfüllen. Wünsche des Kindes nach Geborgenheit, Abhängigkeit, nach Versorgtsein und Zärtlichkeit, aber auch nach materieller Zuwendung werden in einem Übermaß erfüllt, so daß dem Kind Selbständigkeit und eine eigenständige Eroberung der Welt nicht ermöglicht werden. Kinder, die dermaßen verwöhnt worden sind und nicht genügend Grenzen kennengelernt haben, werden später unersättlich und monströs in ihren Forderungen.

Eine 32jährige Lehrerin, Mutter von zwei Kindern, war völlig verzweifelt, weil ihr Sohn nicht mehr in die Schule wollte. Sie suchte die Hilfe des Psychiaters auf, damit er den Sohn wieder auf den rechten Weg bringe. Doch dieser war seiner Familie völlig entglitten: Vater und Mutter standen hilflos diesem Tyrannen gegenüber. Die Mutter hatte das meiste auszuhalten, weil der Vater wochenlang beruflich unterwegs war. Der Sohn war neun Jahre alt, er tat, was er wollte. Er tanzte ihr auf der Nase herum. Völlig entsetzt war die Mutter darüber, daß er ihr neulich mit der Axt gedroht hatte. Er hatte vor ihr gestanden und ihr zugerufen: "Ich schlage auch zu!" Er hatte sich damit seinen abendlichen Ausgang erpreßt.
Die Mutter war nicht reflektionsfähig. Sie erkannte nicht ihr Unvermögen, sich gegenüber diesem ungebändigten Kind zu wehren und abzugrenzen.

Fühlen sich Eltern aus irgendeinem Grund schuldig, dem Kind nicht genügend Liebe zu geben, neigen sie schnell dazu, mit materiellen Gütern ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen. Auch nach dem Motto "meine Kinder sollen es mal besser haben als ich" oder "warum soll mein Kind weniger haben als die anderen?" werden die Wünsche der Kinder erfüllt. Das Kind braucht sich nicht mehr anzustrengen, wenn es etwas erreichen will. Es braucht sich nichts mehr vom Taschengeld abzusparen, sondern ruft: "Ich will!" Die hilflosen Eltern erfüllen in ihrer Güte den Wunsch. So entsteht eine Riesen-Anspruchshaltung an eine immer nährende Welt, von der es sehr schwierig ist herunterzukommen. Die Haltung, alles haben zu wollen und das möglichst schnell, wird auf die Welt übertragen.
Einer meiner Patienten mit einer Suchtproblematik hatte Schwierigkeiten im Umgang mit Geld. Er sagte über sich, daß er sich kaum einen Wunsch abschlagen könne. Sehe er zum Beispiel einen Videorecorder, so habe er ihn bald auch gekauft, auch wenn er dafür einen Kredit bei der Bank aufnehmen müsse. Er habe von Mutter und Großmutter immer alles bekommen, was er gewollt habe.

Ein 36jähriger Handelsvertreter war wegen einer Herz-Angstsymptomatik von seinem Hausarzt zu mir überwiesen worden. Im Laufe des Gespräches erzählte er: "Mein Vater hat mir sehr viel abgenommen. Er hat mich während der gesamten Lehrzeit zur Arbeit hingebracht und abends wieder abgeholt. Er hat mich auch immer zum Sport begleitet. Er war überall dabei gewesen. Er war ein Rückhalt für mich gewesen, eine Hilfe und eine Stütze. Er hat mich auch in Schutz genommen, wenn ich Ärger hatte. Er ist immer für mich vorgegangen.
Heute bin ich bequem, schiebe meine Frau oder jemand anders vor, wenn ich etwas erkundigen soll. Ich gehe vieles nicht so gerne an. Ich habe Hemmungen und zu wenig Selbstvertrauen."

Ein 24jähriger Student der Mathematik mit einer schweren, zu Beginn der Bundeswehrzeit aufgetretenen Angstsymptomatik hatte folgendes zu der Frage "Was haben meine Eltern mir alles abgenommen?" aufgeschrieben:
- Mein Zimmer und Schuhe wurden jede Woche geputzt, Wäsche war ja sowieso klar, daß sie gemacht wird.
- Ich bekam kein festes Taschengeld. Von meiner Oma bekam ich immer jeden Morgen mein Portemonnaie zu ca. 2 Euro aufgefüllt, später mehr.
- Morgens wurde mein Brot geschmiert und das Essen auf den Tisch gestellt, ferner wurden mir die Schulbrote eingepackt.
- Die Kleidungsstücke, die ich morgens anzog, lagen schon bereit auf einem Stuhl im Schlafzimmer.
- Kleidungsstücke wurden zwar mit mir gekauft, aber erinnern, daß ich wirklich entschieden habe, was ich haben möchte, kann ich nicht.
- Es war ungeschriebenes Gesetz, daß ich gleich nach der Schule lernen sollte bis 5 oder 6 Uhr. Ich habe nie gelernt, meine Zeit selbst einzuteilen.
- Ich brauchte nie zu sparen für etwas, kam auch nie auf die Idee: Dinge für mich persönlich habe ich praktisch nie gekauft. Einmal hatte ich mir eine DVD gegönnt. Ich hatte dabei großen Druck im Bauch mit der immer drängenden Frage: ob ich so etwas wohl darf? Ich habe es so gut verheimlicht, wie es nur ging.

Ihr kindlich-abhängiges, egozentrisches Verhalten schildert eine junge Frau, die mit 28 Jahren an einer Angstsymptomatik erkrankt war. Auf die Frage, wo sie sich überall kindlich verhalte, schrieb sie:

- Ich habe das Bedürfnis, ständig in den Arm genommen zu werden.
- Ich will mich stets anlehnen.
- Ich bin immer auf der Suche nach Trost.
- Ich will alles durchsetzen.
- Ich kann nicht allein sein.
- Ungeduldig sein.
- Immer das Verlangen zu haben, die Hand des Partners halten zu wollen.
- In jeder Beziehung unsicher zu sein.
- Sich nicht den Tatsachen zu stellen.
- Immer nur Forderungen zu stellen.
- Wenig Rücksicht zu nehmen.
- Stets beschützt werden zu wollen.
- Furchtbare Angst zu haben.
- Immer zusprechend gestreichelt zu werden.
- Immer nach dem "WARUM" zu fragen.

Sie war als einziges Kind von einer depressiv-ängstlichen und anklammernden Mutter daran gehindert worden, erwachsen zu werden und frei von Angstsymptomen zu sein. Ihre Mutter hatte versucht, es ihr immer recht zu machen und ihre Wünsche jeglicher Art zu erfüllen.
In den letzten Jahren häufen sich die Fälle, in denen Eltern Sozialstationen und auch Psychiater aufsuchen, da ihr Sohn oder ihre Tochter einfach nicht arbeiten wollen:
Eine Mutter berichtete mir, daß ihre Tochter 3 Lehrstellen abgebrochen habe, zuhause nicht einmal die notwendigen Hausarbeiten mehr verrichte und sich völlig passiv verhalte. Die Einsicht, daß die Mutter selbst dieses junge Mädchen zur Unselbständigkeit und Passivität erzogen hatte, war ein schwieriger Schritt für diese Mutter gewesen.
Meistens zeigen die Mütter keine Einsichtsfähigkeit. In ihrer Angst, etwas falsch gemacht zu haben, wehren sie jede Mitarbeit ab. Lieber lassen sie sich von dem Jugendlichen tyrannisieren, unfähig, sich abzugrenzen.

 

Aus dem Buch "Angst - Ursprung und Überwindung", S. 49-51

Der Artikel ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Zurück zur Startseite