Trennung oder Treue – Schwierigkeiten in der Paartherapie

Der Einfluß des Therapeuten in der Partnertherapie

Wenn jemand Eheprobleme hat und zum Psychotherapeuten geht, sind die Fragen von Bedeutung: "Wie steht mein Psychiater zur ehelichen Treue? Wird er meine Eheschwierigkeiten verstehen? Ist er selber geschieden? Wird er mich darin unterstützen, daß ich mich wieder mit meinem Mann verstehe? Wie wird die Therapie ausgehen?" Auch der Partner macht sich Gedanken darüber, wie sich der Andere in Therapie entwickeln wird.

Jener Psychotherapeut, der in seiner Ehe gescheitert ist, wird Ehepaare eher zu einer Trennung bewegen, während derjenige dazu neigen wird, eine Ehe aufrechtzuerhalten, welcher an dieser Problematik gewachsen ist. Er weiß, mit welcher Macht und List die Elternhäuser gegeneinander kämpfen und wie sie es immer wieder schaffen, daß ihre Kinder sich trennen.

Treue

Unter Treue versteht man Beständigkeit, unverändert feste Verbindung, Anhänglichkeit, unwandelbare Zuneigung, Liebe, Freundschaft, Kameradschaft oder Gewissenhaftigkeit. Diese Eigenschaften haben sich zu Beginn der Ehe viele versprochen. Aus Enttäuschungen, unbewältigten Konflikten und ungelöster Bindung an die Eltern kommt es jedoch häufig zu Spannungen, die in einem Ehebruch gipfeln können.

Das 6. Gebot

Ein Drittel der Ehen wird geschieden, die Zahl der Scheidungswaisen liegt bei mehreren Millionen. Die Fähigkeit der Menschen, eine Ehe zu gestalten und den Partner dauerhaft zu lieben, fällt nicht vom Himmel. Die Religion hat moralische Gebote aufgestellt, ohne den Weg der psychotherapeutischen Wandlung aufzuzeigen, der notwendig ist, um diese Gebote auch innerlich nachvollziehen zu können. Das 6. Gebot bietet ein Gerüst, eine haltgebende Stütze, die mit weiterer Hilfe verstärkt werden kann, nämlich durch Psychotherapie.

Ursachen der Untreue

Eine 28jährige, verheiratete Büroangestellte ist sich der eigenen Beweggründe, ihre Ehe aufzulösen, nicht bewußt: "Wenn mein Mann auf mir liegt, spüre ich einen starken Ekel und eine große Abwehr in mir. Ich kann seine Nähe nicht ab." Ihr Mann ist Kapitän. Ein zuverlässiger Partner, wie sie ihn selbst beschreibt. Voller Unruhe und Sorge erzählt sie folgende Begebenheit: "Wenn ich mit meinem Mann auf den Weltmeeren fahre, setze ich mich manchmal nachts an die Reling und schaue auf das Wasser, das vom Mond beschienen wird. Ich spüre einen unglaublich starken Drang, in das Wasser zu springen, fast würde ich es tun. Es ist ein unheimlicher Sog in mir, der mich in das dunkle Wasser zieht." Eine tiefe Liebe und Bindung zu ihrem Vater zerstört die Ehe. Sie lehnt Nähe zu ihrem Mann ab. Sie hat die Scheidung eingereicht, die Ehe kann nicht mehr gerettet werden.

Eine 30jährige Verwaltungsbeamte berichtet: "Mein Mann und ich, wir verstehen uns nicht mehr. Wir haben uns im Bett nichts mehr zu sagen. Ich war nur kurz verliebt in ihn. Sex lehne ich ab. Mein Mann kann mir das nicht geben, was ich mir wünsche. Verliebt bin ich in einen anderen, doch der ist verheiratet. Ich habe keinen Mut, meine Wünsche mit dem anderen auszuleben. Sex mache ich nur, weil mein Mann es will. Es widert mich an. Mein Mann ist zu weich, er jammert zuviel, er kann sich mir gegenüber nicht durchsetzen. Wir haben einen Sohn, der ist 4 Jahre alt. Eine Scheidung kommt für mich nicht in Frage. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll."

Dieser Bericht ist beispielhaft für den Verlauf und den Zustand zerrütteter Ehen. Am Anfang ist die Verliebtheit, dann mehren sich Zweifel am ehelichen Glück. Abwertungen nehmen überhand. Das Glück wird bei anderen gesucht, mal wird es ausgelebt, mal phantasiert. Welche Einstellung der jeweilige Psychotherapeut zu dieser oft unbewußten Ablösungsproblematik hat, kann positive oder negative Folgen für den Hilfesuchenden haben. Erkennt der Fachmann z. B. die infantile, symbiotische Haltung seiner Patienten, die oft mit derartigen Eheschwierigkeiten einhergeht? Kennt der Psychotherapeut sich in den Fallstricken des Ehesystems aus? Weiß er die Liebe des Patienten zu fördern? Den Haß zu lindern? Auch die innere Haltung des Psychiaters zur ehelichen Treue kann von schicksalhafter Bedeutung für die Patienten sein.

Gefahrenquellen einer Therapie

Die Patientin klagt auch über eine lieblose Kindheit: "Mein Vater hat mir nie die Liebe gegeben, die ich mir immer gewünscht habe. Er war so streng zu mir. Er war so kühl und unnahbar. Wenn ich doch nur etwas mehr Wärme und Geborgenheit bei ihm gespürt hätte. Nun habe ich mir auch so einen gefühlsarmen und wenig liebenswerten Mann gesucht! Meinen Idealen entspricht der andere. Ich kann mich so gut mit ihm unterhalten. Wir haben uns viel zu sagen und schwärmen füreinander. Aber er ist verheiratet. Wie komme ich aus meinem Unglück heraus?"

Es fällt auf, daß diese Patientin vor allem sich selber sieht. In der Therapie verhält sie sich widerspenstig, sagt oft: "Ja, aber...". Sie läßt nichts so stehen, wie der Therapeut es gerade gesagt hat, sondern setzt immer noch einen oben drauf. Untergründig ist von ihr eine gewisse Zuneigung zu verspüren. Sobald sie etwas Freundlichkeit und Zuneigung durch ihre Haltung und auch in Worten zeigt, zerstört sie anschließend die angenehme Stimmung durch eine abwertende Bemerkung. So macht sie es auch in ihrer Ehe.

In der Therapie bedauere ich einerseits ihren Mann, andererseits habe ich Verständnis und Mitleid mit der Patientin, die einen kalten und abweisenden Vater gehabt hat. Doch die Traumanalyse und vor allem ihr Verhalten während der Therapiestunden weisen auf andere Ursachen ihres Unglücklichseins in zwischenmenschlichen Beziehungen hin: sie ist fixiert an ihren Vater, der als Patriarch über seine Familie herrscht. Er hat keins seiner Kinder in die Selbständigkeit entlassen. Er betrachtet sie wie einen käuflichen Besitz. Die Tochter kümmert sich rührend um das körperliche Wohlergehen ihres Vaters, der einen Platz in der Familiengruft für die Tochter, aber nicht für deren Ehemann bestimmt hat. Für diesen hat sie ihr Herz nicht öffnen können, sondern sie wertet ihn ab und projiziert ihre eigene Liebesunfähigkeit auf ihn und ihren Vater. Sie hat es nicht gelernt, ihre unbewußte Liebe vom Vater zu lösen und sie auf ihren Ehemann zu übertragen.

Symbiotisches Verhalten

Auch in anderen Ehetherapien zeigt sich symbiotisches, anklammerndes, unselbständiges Verhalten als häufige Ursache für eheliche Konflikte. Ein 50-jähriger Ehemann, der mit langen, wellenden Haaren in die Praxis hereinkommt, mit Motorradstiefeln und Motorradkluft, lebt das Skript eines Puer aeternus – des Ewigen Knaben: Seit Jahren kommt er von einer Geliebten nicht los, zieht zu Hause ein und aus, wodurch er seine Frau zur Verzweiflung bringt. Seine Ehefrau ist nicht in der Lage, ihre Forderungen dem Mann gegenüber selbstbewußt durchzusetzen. Sie meint, sie müsse ihn verstehen und akzeptieren, daß er fremdgehe. Sie hat kein eigenes Zimmer in dem Haus, das beide bewohnen.

Erst nachdem ich ihn mit seinem infantilen Verhalten konfrontiert habe, wird ihm seine regressive Fixiertheit bewußt. Auch die Traumanalyse hilft ihm, sich der Bindung an seine Mutter und Kindheit bewußt zu werden, so daß er sich aus ihnen lösen kann und seine Liebe auf seine Frau richtet. Inzwischen trägt er kurze Haare, er ist in seinen Gesichtszügen männlicher geworden und führt mit seiner Frau, die gleichfalls eine erfolgreiche Therapie bei mir einging, eine glückliche Ehe.

Treue versus freie Sexualität

Das Befürworten von Seitensprüngen und Verliebtheitszuständen, die auch suchtartig entgleiten können, entspringt häufig einer unbewältigten Ablösungsproblematik von Mutter oder Vater. Ein außereheliches Verhältnis, einen Seitensprung gutzuheißen oder als Gewürz für die Ehe zu preisen, entspricht nicht den eigentlichen seelischen Anlagen des Menschen, wohl seiner Triebnatur. Die Dialektik – die allem innewohnende Gegensätzlichkeit der Dinge und Werte - birgt als Gegensatzpaar Treue versus freie Sexualität in uns. Ungebärdig und zerstörerisch treten Eros und Sexualität im Erwachsenenleben auf, wenn symbiotische Verhaltensweisen oder infantile Fixierungen fortbestehen. Menschliche Reifung bedeutet, sich der reinen und ausgelebten Triebnatur zu entledigen, treu zu sein und sich der Liebe zum Ehepartner und zur Welt zu widmen. Es ist wichtig, seine sexuellen Phantasien in der Ehe auszuleben oder besser so zu mäßigen, daß sie dem Anspruch der Liebe entsprechen. Polymorph-perverse Neigungen werden dann als neurotische Konfliktlösungsversuche empfunden und – oft mit Hilfe einer Therapie – aufgelöst in Abgrenzungsfähigkeit, Struktur und Liebe.

Treue oder Trennung in der Therapie

Manchmal ist einer der Ehepartner so wenig änderungsbereit und voller Abwehr gegenüber dem Unbewußten, daß dem anderen nichts anderes übrig bleibt, als eine Trennung herbeizuführen oder ihr zuzustimmen. Der Zauberbann vieler Elternhäuser, daß die Kinder sich von ihnen nicht lösen dürfen, übt dann erfolgreich seine Macht aus.

Ob einer der beiden Kontrahenten alles versucht hat, die Ehe zu gestalten, die eigenen Mauern zu überwinden und damit seinen Partner zurückzugewinnen, ist nach meinen Erfahrungen oft zu bezweifeln. Wenn einer der Partner in die Therapie kommt und beide Partner die Ehe nicht zerstören wollen, gelingt es jedoch, auch verhärtete und chronifiziert-desexualisierte Ehen nach Wochen oder wenigen Monaten zu Zärtlichkeit und Sexualität hinzuführen. Es geht bei Konflikten in der Partnerschaft einerseits um die Aufarbeitung eigener, unbewußter Projektionen und Konflikte, andererseits auch darum, Änderungen beim anderen zu bewirken. Dieses Spannungsverhältnis zwischen der inneren eigenen Konflikthaftigkeit und der Problematik des anderen zu erkennen, auszuhalten und positiv zu beeinflussen, erfordert viel Ausdauer, Liebe, Geschick und Intuition auf allen Seiten.

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