Wie und warum Psychotherapie erfolgreich ist

Eine typische Antwort von Patienten, warum Psychotherapie heilt und hilfreich ist: "Ich habe als hilfreich und heilsam empfunden, daß ich nicht alleine mit meiner Krankheit dastehe und immer wieder Mut zugesprochen bekomme; daß ich von den Problemen der Mitpatienten lerne; daß ich offen über meine Krankheit sprechen kann. Ich habe gelernt, daß ich selber der Motor für meine Heilung bin. Nur das Umsetzen ist noch schwer. Ich sehe, daß es den anderen besser geht, also ist diese Behandlung der richtige Weg. Wenn sie im gebesserten Zustand die Gruppe verlassen, so bedeutet das für mich, daß auch ich alleine und selbständig ohne den Therapeuten den späteren Weg gegen kann."

Dührssen berichtet ein eindrucksvolles Ergebnis über das Erkrankungsausmaß von Patienten 5 Jahre vor und nach ihrer Behandlung:

Vor der Therapie 32.4 Tage Arbeitsunfähigkeit.
Nach der Therapie 8.0 Tage Arbeitsunfähigkeit (1).

Psychotherapie heilt. Welche Faktoren die Wirksamkeit von Psychotherapie beeinflussen, darüber haben sich viele Autoren Gedanken gemacht(3). In den letzten Jahren sind verstärkt auch die Statistiker an dieses Problem mit einer Fülle von Fragebögen und Tests herangegangen. Aus dem Erfahrungsschatz von über 100 Jahren psychiatrischer Wissenschaft kristallisieren sich viele Faktoren heraus, die eine Psychotherapie heilsam und wirkungsvoll werden lassen. Drei Faktorenbündel beeinflussen eine psychotherapeutische Behandlung:

  1. Therapiekonzept des Therapeuten.
  2. Eigenschaften des Patienten.
  3. Eigenschaften des Therapeuten.
  1. Die Werkzeuge des Therapeuten

    Ich biete ein theoretisches Konzept an, mit dem ich den Patienten verstehe und das seine Konflikte auch für Außenstehende deutlich und verständlich werden läßt.

    1. Die psychoanalytische Konfliktpsychologie, die Ich-Psychologie, die Selbstpsychologie und die Objektbeziehungspsychologie, die Affektpsychologie

    2. Traumanalyse

      Die Traumanalyse nimmt in meiner Einzel- und Gruppentherapie eine herausragende Rolle ein, sie ist das Bindeglied zwischen dem Therapeuten und dem Patienten. Träume sind persönlicher Ausdruck des Patienten. Jeder erinnerte Traum sollte aufgeschrieben werden, allein dieser Vorgang kann nach Jung integrierend wirken. Der Patient lernt, seine Träume selbst zu verstehen und die Welt der Träume kennenlernen. Träume sind dazu da, den Menschen zu einer relativen inneren und äußeren Harmonie zu verhelfen und Einseitigkeiten, neurotische Fehlhaltungen und Abwehrstrukturen aufzuzeigen. Der Patient kann durch den Umgang mit Träumen selbst ein tiefenpsychologisches Verständnis erwerben, das ihm auch nach Abschluß der Therapie hilfreich sein wird.

      Ein häufiges Traumsymbol des therapeutischen Prozesses ist das Operationsmotiv. Eine 32jährige, verheiratete Sozialpädagogin, die an einer Angstneurose erkrankt ist, erzählt folgenden Traum zu Beginn der Therapie: "Ein Insekt sticht mich ins Bein. Es schwillt innerhalb von einigen Sekunden an als wäre es aufgeblasen worden. Ich komme mit Blaulicht ins Krankenhaus. Dort will man mir das Bein abnehmen. Im OP sind alles Menschen, die ich kenne. Sie reden mir zu: Gebe doch dein Einverständnis, das Bein muß ab. Mit großer Anstrengung schaffe ich es, mich vom OP abzuschnallen und laufe davon.

      In vielen Märchen und Mythen, auch in Dantes Göttlicher Komödie taucht das Motiv des heilenden Führers oder des "Zauberers" auf. Der Zauberer stellt einem mehrere Fragen oder Bedingungen, die der Verzauberte erfüllen muß, damit dieser ihn von dem Fluch oder dem Schicksal befreit. Auch in den Träumen der Patienten spiegelt sich häufig das Bild von Heilung und operativem Eingriff durch einen allmächtigen Arzt. Dessen Kompetenz wird zugleich erwünscht, aber auch abgewehrt. In der Psychotherapie kommt es darauf an, die Gesundungskräfte des Patienten zu stärken und ihn dazu zu bewegen, sich dem Kreisgang durch das Labyrinth des Unbewußten und der dazugehörigen Qualen einzulassen. Ausführlich habe ich darüber in meinem Buch "Träume zeigen neue Wege - Symptomatik der Traumsymbole", erschienen im Kohlhammer Verlag 1998, geschrieben (3).

    3. Symbiosekonzept

      Unter Symbiosekonzept ist die ungelöste Bindung an ein elterliches Objekt zu verstehen über das Adoleszentenalter hinaus. Eine ungelöste Symbiose führt zu zahlreichen Symptomen. Besonders Jung, Kast, Schiff und Stierlin haben sich mit der Bindung an das mütterliche Objekt in ihren Schriften geäußert. In meinem Buch "Angst - Ursprung und Überwindung" bin ich eingehend auf das zentrale Thema einer ungelösten Symbiose, nämlich die Angst, eingegangen.

    4. Elemente der Transaktionsanalyse wie das Abschließen von Verträgen und konfrontative Techniken. Als hilfreich erweisen sich auch das Drama-Dreieck, das Konzept der Antreiber und die Skriptanalyse.

    5. Gruppentherapie

      In der Gruppentherapie ist im Vergleich zur Einzeltherapie die Identifikation mit den Gruppenmitgliedern persönlichkeitsfördernd. Gelingt es z. B. einem Patienten, einen Streit mit seiner Frau durchzufechten und er berichtet davon, so denkt ein Mitpatient: "Das könnte ich doch auch schaffen! Das wäre doch gelacht, wenn ich nicht endlich auch meine Probleme auf diese Art und Weise lösen könnte." Der Vergleich, die Identifikation mit den gesunden Anteilen anderer hilft auf dem Weg der Selbsterkenntnis und der Selbsterziehung. Emotionale Neuerfahrungen sind in der Gruppe möglich, das Angenommenwerden durch die Gruppe - die Mutter - gehört hierzu, auch das Zulassen von Trauer in Gegenwart anderer oder das Ausdrücken von Aggressivität. Das sich Öffnen, das Sprechen über Probleme und die Entlastung durch den Therapeuten und die Gruppe sind weitere Faktoren, die eine Heilung ermöglichen. Gruppendynamische Prozesse finden statt, auch wenn sie der Therapeut nicht direkt fördert. Das Gespräch nach einer Gruppensitzung ist außerordentlich fruchtbar, wenn sich die Gruppenmitglieder über anstehende Probleme auch ohne Gegenwart des Therapeuten unterhalten und mit einander streiten oder Verständnis haben. Dem Gruppenprozeß kann man sich kaum entziehen, von daher sind auch sehr schwierige Patienten behandelbar, die keine oder nur wenige Träume erinnern und sich nur langsam entwickeln.

      Förderung der Kontaktfähigkeit in der Gruppe

      Die Fähigkeit, soziale Kompetenz zu erlangen oder aufzubauen, ist in der Gruppe besonders gut zu verwirklichen. Das gegenseitige Austauschen von Adressen und Telefonnummern gehört zum psychotherapeutischen Gruppenprozeß. Viele Patienten mit einer ungelösten Symbiose zu einem elterlichen Objekt haben Kontaktstörungen und durften nicht lernen, sich außerhalb des Familienreiches zu bewegen. Die Gruppe ermöglicht, sich mit anderen zu unterhalten und Beziehungen einzugehen.

  2. Eigenschaften des Patienten

    Fangen wir bei den günstigen Bedingungen an, die ein Patient mit sich bringen sollte:

    1. Der Leidensdruck

      Der Patient muß einen erheblichen Leidensdruck haben.

    2. Wissen und Einsicht

      Der Patient weiß um die Effektivität der Psychotherapie. Er ist über das Wesen einer Behandlung informiert und hat eine dementsprechende Erwartungshaltung und Hoffnung auf Besserung oder Heilung.

    3. Die Leidensfähigkeit

      Die Fähigkeit des Patienten, Depressionen zu ertragen und angstneurotische Symptome, begünstigt einen positiven therapeutischen Verlauf, da diese schwierigen Phasen in einer Psychotherapie unabdingbar sind und auch ausgehalten werden müssen.

    4. Die Beziehungsfähigkeit

      Der Patient sollte in der Lage sein, eine Beziehung zum Therapeuten aufrechtzuerhalten, auch wenn sie mal schwierig wird. Der Patient sollte Vertrauen zu einem Menschen haben. Er sollte ein Minimum an Beziehungsfähigkeit mitbringen. Diese kann durch eine zu starke Bindung an die Eltern beeinträchtigt werden. Abwertungen und Mißtrauen dem Therapeuten gegenüber sind die Folge. Auch schlechte Kindheitserfahrungen – Beziehungsabbruch und massive Grenzüberschreitungen – behindern Vertrauen. In beiden Fällen wird der Therapeut entweder gar nicht aufgesucht oder aber nach kurzer Zeit unter einem Vorwand verlassen.

    5. Die positive Übertragung

      Der Patient sollte eine positive Einstellung zum Therapeuten haben. Sie allein kann erhebliche Heileffekte auslösen, auch von dauerhafter Art. Eine positive Übertragung erleichtert es dem Patienten ,sich zu ändern. Die Umstellungsfähigkeit des Patienten nimmt also durch Idealisierung und eine positive Übertragung zu.

    6. Der Zugang zum Unbewußten

      Der Patient sollte einen Zugang zu seinem Unbewußten haben. In der Gruppentherapie können aber stets einige Patienten mitmachen, die keine Träume erinnern.

  3. Eigenschaften des Therapeuten

    1. Empathie

      Ein Psychotherapeut versteht seelische Zusammenhänge und kann diese bei seinen Patienten mitfühlend nachvollziehen.

    2. Ausstrahlung und Persönlichkeit

      Der Therapeut weist Persönlichkeit und Charisma auf. Der Therapeut sollte Fähigkeiten haben, sich abzugrenzen und zu konfrontieren. Ob der Patient bereit ist, dem Therapeuten zu vertrauen und sich seiner heilenden Kraft anzuvertrauen, entscheidet sich oft bereits in der ersten Therapiestunde. Probedeutungen testen die Belastbarkeit der therapeutischen Beziehung. Auch die Kränkbarkeit des Patienten ist ein direkter Gradmesser dafür, ob der Patient die Autorität des Therapeuten anerkennt oder nicht. Denn: seine Elternimagines verbieten nicht selten den therapeutischen Weg. Erhöhte Kränkbarkeit dient der Aufrechterhaltung der Symbiose und dem Abbruch der Beziehung zum Therapeuten mit der Begründung: er versteht mich nicht oder er geht nicht auf mich ein. Der Therapeut darf auch schon zu Beginn der Therapie seine Autorität in die Waagschale werfen und die Beziehungsfähigkeit des Patienten prüfen.

      Der Therapeut darf und soll sich die Patienten aussuchen, von denen er meint, sie erfolgreich behandeln zu können. Auf diese Art wird die Erfolgsquote selbstverständlich erhöht, was bei dem ohnehin schwierigen Beruf erlaubt und erwünscht ist. Mit Sympathie, Wellenlänge oder ähnlichen Phänomenen hat das Heraussuchen von geeigneten Patienten aber nur am Rande zu tun. Entscheidend für die Therapie ist, ob der Patient unter den gegebenen Therapiebedingungen änderungswillig ist. Die Einsicht des Patienten, daß er Psychotherapie benötigt, erhöht sich erfahrungsgemäß, wenn er einen oder mehrere Therapieabbrüche hinter sich hat und sich der Leidensdruck erhöht. Es dauert in seltenen Fällen 10 Jahre, bis sich der Betroffene wirklich zu einer Therapie entschließt.

    3. Schutz

      Schutz ist besonders beim Suizidpatienten von Bedeutung und bei Patienten, die sich oder andere schädigen. Der Therapeut sollte in diesen Fällen telefonisch erreichbar sein oder sich vergewissern, daß der Patient sich bei anderen Therapeuten aushilfsweise meldet. Schutz kann ein Therapeut auch in der Gruppe geben, wenn sich ein Gruppenmitglied sich gegenüber einer verletzenden Äußerung nicht wehren kann oder zu Unrecht angegriffen wird. Schutz besteht auch darin, daß der Therapeut Sicherheit, Verantwortungsbewußtsein und Festigkeit in seiner Person ausstrahlt.

    4. Erlaubnis

      Der Therapeut gibt Erlaubnis zum Leben. Psychotherapie bestärkt den Patienten in dem, was dieser eigentlich möchte. Die vielen Verbote der Eltern gilt es aufzuheben. Mittel hierzu sind der Gesundungswille des Patienten und das Geschick des Therapeuten.

Schamanen und Ärzte

Heiler, Schamanen, Magnetiseure, Gurus und Medizinmänner hat es immer außerhalb der traditionellen Medizin gegeben. Am eindrucksvollsten von diesen Persönlichkeiten erscheint der Schamane, dessen Wirken seit Jahrtausenden bekannt ist (4). Der Schamane hat bereits in der Pubertät Schwierigkeiten mit sich selbst und mit anderen. Er ist ein Einsamer, ein Fragender, ein Suchender, ein Problembeladener. Er unterzieht sich einem Unterweisungsprozeß bei einem älteren Schamanen und einem Initiationsritus, der auch eine Reintregation und Synthese der Persönlichkeit des zukünftigen Schamanen bewirkt. Das selbsterfahrene Leid, die Fähigkeit, mit seiner erhöhten Sensibilität und seiner Andersartigkeit anderen Menschen zu helfen, sie Kraft seiner Persönlichkeit in seinen Bann zu ziehen und positive Heilungskräfte in dem Kranken zu fördern und suggestive Macht auszuüben, bilden den Hintergrund seiner therapeutischen Fähigkeiten. Das Eingebundensein in den Kosmos und das Verständnis übergreifender kosmischer Zusammenhänge zeichnen den Schamanen gleichfalls aus.

Auch Psychotherapeuten haben mit dem Schamanen manches gemeinsam: Sie sind selbst Leidende gewesen, die auf Grund ihrer Andersartigkeit sich dem schwierigen Gebiet des Seelischen zugewandt haben und suchend und forschend die komplexen Zusammenhänge der Seele zunächst bei sich selbst aufdeckten. Die Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem eigenen therapeutischen Prozeß kann ein Psychotherapeut auf seine Patienten übertragen und ihnen mit diesem Verständnis helfen.

Literatur

  1. Dührssen, A.: Dynamische Psychotherapie, Psychoanalyse und analytische Gruppenpsychotherapie im Vergleich, Zschr. Psychosom. Med. 32 (1986), S. 161-180
  2. Flöttmann, H. B.: Träume zeigen neue Wege – Systematik der Traumsymbole, Kohlhammer Verlag, Stuttgart (1998)
  3. Frank, J. D.: Die Heiler, Wirkungsweisen psychotherapeutischer Beeinflussung. Vom Schamanismus bis zu den modernen Therapien, Klett-Cotta, Stuttgart (1981)
  4. Scharfetter, C.: Der Schamane - Das Urbild des Therapeuten, Prax. Psychother. Psychosom. 28 (1983), S. 81-89

Der Artikel ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Zurück zur Startseite